Sonntag, 27. August 2023

Stufen des Ganges

Stimmen in der Ferne
Preisungen in die Weite
vielfach bricht sich der Klang an den Mauern und Türmen
und breitet sich das Fließen aus
mit sanftem Kräuseln im Glanz der Morgensonne
hoch im Blau über den Dächern kleine Drachen tanzen
Spiel in Händen von lachenden Kinderaugen
dem Strome folgen hölzerne Boote
Vögel erstaunlichster Art gleiten in unerwarteter Nähe
kleine Affen, die atemberaubende Kunststücke zeigen
Menschen inbrünstig eintauchen in die Fluten
keine Spur von Zweifel in deren Tun
Ort der ultimativen Verschmelzung von Sonne und Mond
Kulmination im alles durchdringenden Ton der Vergänglichkeit
steigt beißender Rauch in die blauschwarze Nacht
und der Blick verschmilzt mit dem fließenden Strom
im Verblassen der Zeit
einfach hier
verweilend auf den Stufen des Ganges...

Benares, im November

Manikarnika - die Verschmelzung von Sonne und Mond

Es ist acht Uhr abends und die Nacht hat bereits seit geraumer Zeit die Stadt eingehüllt, langsam wandere ich von Chausati den Ganges stromabwärts.
Dasaswamedh Ghat ist hell erleuchtet, alles erfüllt vom Gesang und den Gebeten einer Puja, unzählige Gläubige füllen die Stiegen des Ghats, wenige Touristen stehen staunend, andere beobachten aus Booten das Geschehen

Ich verweile kurz, verlasse dann diesen Platz und gehe weiter - mein Ziel für heute Nacht ist Manikarnika Ghat - der Ort wo alles endet!
Mit jedem Schritt, der mich meinem Ziel näher bringt, steigt in mir das Gefühl auf, endlich diesen wichtigen Teil meiner Übungen zu erreichen.
Erste Rauchschwaden sind zu sehen, die Luft um mich sättigt sich zunehmend mit unterschiedlichsten Gerüchen von brennendem Holz vermischt mit süßlichem Geschmack. Ein paar Schritte noch und ich stehe davor. Lodernde Feuer, zahlreiche Menschen, Familien und deren Angehörige und wie immer in Indien, Menschen die emsig wie Ameisen Dinge organisieren, Berge von Brennholz heranschaffen oder die Feuerstätten am lodern halten.
Priester die ihre Rituale an der Feuerstelle zelebrieren. Kaum abgebrannte Scheiterhaufen werden bereits für wartende Familien und deren Toten neu mit Holz errichtet. Erst zwei große lange Scheite, dann einige kürzere quer, dann noch eine Schicht, fertig ist der Platz auf den die Leiche gelegt wird.
Pausenlos tragen Menschen auf Bambustragen, die in goldene Folien und weiße Tücher eingehüllten Toten heran.
Erst werden die Toten ins Wasser des Ganges getaucht, unverzichtbarer Teil gläubiger Hindus, anschließend am lehmigen Boden abgelegt, wartend auf den nächsten freien Feuerplatz.

Seit Jahrtausenden ist dieser Ort pausenlos, Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr Verbrennungsplatz. Die Feuer brennen seit Jahrzehnten ohne Unterbrechung.
Auf mehreren Etagen lodern um die zwanzig Scheiterhaufen gleichzeitig und nicht endend wollend tauchen immer neue Familien mit ihren Toten auf den Stiegen auf...

So nehme ich mir die Zeit um mich einzustimmen auf diesen Ort, kein Ort der Furcht oder großer Trauer, es ist der physische Körper der hier zu Asche zerfällt. Fast wie im Alltag auch verhalten sich die Angehörigen, vielleicht eine Spur ernster, doch immer wieder läuten Handies, es werden aufgeregte Gespräche geführt und sicher nicht immer anlassbezogen. Gruppen bilden sich, unterhalten sich angeregt, während andere so wie ich, stumm auf den Stiegen sitzen, zwischen Kühen und Hunden.
Vor mir eine Familie die ihren Toten auf das Holz legen und diesen anschließend mit einer weiteren Schicht Holz bedecken, ein kurzes Ritual, dann wird leicht brennbares Kushagras entfacht und unter den Holzstoß geschoben. Angehörige streuen Gewürze und schütten milchige Flüssigkeiten auf die in weißem Tuch eingehüllte Leiche. Kühe versuchen die Girlanden roter und gelber Blumen zu fressen und werden mit Stöcken verjagt.
Im fast abgebrannten benachbarten Feuer versucht eine Hündin einen nicht verbrannten Fuß zu erhaschen, wobei die Hitze des Fleischstücks das Fassen erschwert.
Das Feuer vor mir beginnt lodernd seinen vernichtenden Lauf, hoch sprühen die Funken.
Grotesk ragen Gliedmaßen aus der Glut benachbarter Feuerstellen und werden geschickt von Feuermeistern wieder in die Flammen geschoben. Dort sitzt ein Toter fast aufrecht, durch die Hitze des Feuers und der kurz entstehenden Spannung des Körpers. Neben mir quellen Gedärme aus der geplatzten Bauchdecke der Leiche, stechender Geruch breitet sich aus...
Dann knallt es dumpf, oft mehrmals hintereinander - der Ton der Vergänglichkeit - wenn die Hirnmasse kocht und den Schädel sprengt...

So versinke ich mehr und mehr in das Geschehen rund um mich, vergessend die Menschen und lasse nun meinen Teil beginnen...

...die Zeit scheint still gestanden zu sein, ich blicke mich wieder um, andere Menschen das gleiche Geschehen, ich als einziger Westler hier seit Stunden, das erregt Neugier.
Ich beschließe diesen finalen Ort zu verlassen, bedanke mich und wandere durchs Halbdunkel zurück, wie in Trance erreiche ich meine Unterkunft und falle in mein Bett. Zu stark sind die Eindrücke um einschlafen zu können.

Für den Moment ist es getan ....Indien ich verlasse dich wieder....
Namastè irgendwann!

Benares, in einer Novembernacht

„...It helped to overcome the attachment to life and served as a practical reminder that this was an end to which all must come and nothing could be done to avoid it. Every man, woman and child, success or failure, famous or obscure, all had to come to this place where worldly hopes and ambitions were burnt to ashes...“

Harish Chandra und das nachtblaue Fleece

Wieder hat sich die Nacht auf die Ghats von Benares gesenkt und so wandere ich diesmal stromaufwärts, ein letztes Mal auf meiner Reise.
Jugendliche haben sich auf den leeren Terrassen versammelt, einige haben sich zu Ballspielen zusammengefunden, andere hören Musik oder unterhalten sich lautstark.Von Ferne höre ich das Schlagen einer Glocke untermahlt von gesungenen Mantren.
Angenehm fühlt sich die nächtliche Luft an, kein Vergleich zur stickigen Hitze früherer Besuche.

Harish Chandra Ghat ist heute mein Ziel, der alte Verbrennungsplatz und der für alle Konfessionen offene, im Gegensatz zu Manikarnika, der ausschließlich für Hindus reservierte.

Der Platz wirkt etwas kleiner und alles scheint hier langsamer abzulaufen, mit fallweise größeren Pausen zwischen den Verbrennungen.
Im angrenzenden kleinen Tempel gehen „heilige Männer“ ihren Ritualen nach, besonders fallen die mit Leopardenfell und schwarzen Umhängen gekleideten, die Körper mit Asche der Leichenplätze eingefärbten und mit unterschiedlichsten Utensilien behangenen Yogis auf - die Aghoris. Sie gehören wohl zu den extremsten Anhängern des Shivakults, leben häufig auf Verbrennungsplätzen (smashans) und sind bestrebt eine nichtunterscheidende Sichtweise zu halten, nichts abzulehnen, gleichgültig ob Fleisch, Alkohol, Drogen, Gift, Sex usw.
Ich beobachte einen Aghori der mit zwei Eisenstangen ein glühendes Holzscheit von einem Verbrennungsplatz zu einer Feuerstelle trägt, ein anderer sitzt in tiefer Versenkung ebenfalls vor einem Feuer, schon seit vielen Stunden! Bereits vormittags bei einem Spaziergang sah ich ihn in Meditationshaltung dort sitzen.
Ich verbringe schon einige Stunden hier an diesem Ort, muß mich nun bewegen und schlendere um den Tempel mit der Absicht mich nun "endgültig" von hier zu verabschieden.

Meine kleine Fleecedecke, die mir in den kühlen indischen Novemberabenden gute Dienste geleistet hat, brauche ich nun nicht mehr und mein Vorhaben ist, sie zu verschenken, wem das war mir noch nicht klar...bis jetzt zumindest. Ich biege um die Ecke des Tempels und sehe einen Aghori im Halbdunkel an einer Feuerstelle sitzen, im gleichen Moment als ich ihn sehe, winkt er mich zu sich und lädt mich ein, mich zu ihm zu setzen.
Irgendwie fügt sich alles auf dieser Reise wie von selbst aneinander. Da sitze ich nun in dunkler Nacht mit einem Aghori am staubigen Boden vor seinem Feuer. Wir „unterhalten“ uns oder was man so darunter versteht, nicht leicht aber mit wildem Gestikulieren und bruchstückhaftem Englisch scheinen wir einander zu verstehen. Erschwerend kommt dazu, dass offenbar von viel „heiligem“ Rauch die Worte des Yogis nur langsam seine Lippen verlassen...
Und so steht wieder die Zeit still....
Bin ich hier im heute? Oder um Jahrhunderte zurückversetzt?

...wieder zuhause im winterlichen Europa frage ich mich ob es irgendwo auf dieser Welt einen zweiten Ort wie Benares gibt, solch eine Intensität der Gefühle und Energien, wo es scheint als wäre Zeit nicht existent....
Etwas habe ich dort gelassen und es kommt mir nun vor wie eine unsichtbare, hauchdünne Verbindung durch Zeit und Raum...und es ist doch nur eine kleine, nachtblaue Fleecedecke, die jetzt einen Yogi wärmt...

Benares, in einer weiteren Novembernacht